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Lars und Sabo beim MT8 in Vorbereitung für`s Heavy24 |
Als ich diesen Bericht auf Facebook zum Heavy24 gelesen
habe, habe ich sofort wieder die Nässe und Kälte des Events gespürt. Lars und
Sabo sind als 2er Team gestartet und was sie erlebt, gefühlt und erlitten
haben, könnt ihr hier als Gastbeitrag nachlesen.
Heavy 24 Chemnitz Ganze Kerle, halbe Sache – Ein Bericht
von Lars.
Über alles und jeden werden Statistiken geführt.
Zum Beispiel, dass ein Mensch 1140 Anrufe pro Jahr macht. Oder dass sich eine
Frau durchschnittlich 111 Handtaschen im Leben kauft. Angesichts der
gegenwärtigen Bodenbeschaffenheit beim diesjährigen 24h MTB-Rennen in Chemnitz,
frage ich mich gerade, ob es auch eine Statistik darüber gibt, wieviel
Kubikmeter Waldboden der durchschnittliche Mountainbiker in seinem Leben
verspeist?
24h-Rennen genießen mittlerweile denselben
Kultstatus unter laktatgeilen Ausdauerstrebern, wie die angesagten Festivals
unter kuttentragenden Naturmattenträger. Nur dass der übermäßige Konsum von
Grillgut und Bier ersetzt wird durch übermäßigen Konsum von
geschmacksbankrotter Gel-Riegel-Zwecknahrung. Das Ergebnis am darauffolgenden
Tag ist stets dasselbe. Ein Körpergefühl, wie verdroschen worden zu sein, Berge
von Schmutzwäsche und dünner Stuhl.
Als feste Institution aller laktatsüchtigen
Geländeradfahrer, findet das Heavy 24 in Chemnitz als größte MTB-Veranstaltung
im Osten der Republik mittlerweile zum 12. Mal statt. Und damit eine solche
Veranstaltung auch aus wettertechnisch kachelmännischer Sicht ein Erfolg wird,
findet dieses Event wie gewohnt um den Sommeranfang statt.
Als um 12.00 Uhr der Startschuss ertönt, wird
unterdessen seit Stunden schon Chemnitz vollgeregnet. Hat ja gut geklappt.
In diesem Jahr haben sich Sabo und ich in einer
Zweier-Konstellation zu diesem Ausdauerwahnsinn eingeschrieben. Wobei die viel
größere Hürde, als das Ziel zu erreichen, ist, angesichts des unverhältnismäßig
hohen Ansturms auf die Startplätze, überhaupt erst einmal die Startlinie zu
erreichen. Gut zu wissen, dass Sabo durch seinen Vorjahrespodiumsplatz eine
Startplatzgarantie besitzt. Somit bleiben uns die Verzweiflungsmomente des
Anmeldekrimis erspart, bei dem im Minutentakt die Server des Anmeldeportals
abrauchen und somit auch die Nervenkostüme aller Beteiligten.
Der morgendliche Präparationswahnsinn vor einem
Rennen ist wie immer derselbe. Startnummer am Lenker anzippen, Getränkeflaschen
mit isotonischem Getränk füllen, das isotonische Getränk verkosten um das Mischungsverhältnis
nach Sommeliermanier zu beurteilen, Klamotten zurechtlegen, Kleinkram wie
Pannenset, CO2-Kartusche, Gel und Riegel im Trikot verstauen, ein anderes
Trikot besser finden und alles wieder umpacken.
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Blick ins Teamzelt. |
Der Startblock bei einem 24h-Rennen ist ein
kunterbunter Haufen von Startern aller Leistungsklassen. Zum einen sind da die
Leistungsstreber mit ihrer buntbedruckten und teilweise auch teilfinanzierten
Oberbekleidung, Fahrer mit federwegpotenten Bergabfahrrädern, Fatbiker und
fette Biker. Plötzlich regnet es Kleidungsstücke. Als der Moderator die
verbleibende Zeit bis zum Start mit „nur noch zwei Minuten“ beziffert,
entledigen sich alle ihrer nun als überflüssig gewordener zusätzlichen
Klamotten und feuern ihre Armlinge und Windjacken einfach aus dem Startblock
ihren Betreuern entgegen oder auch Unbeteiligten an den Kopf. „Drei, zwei,
eins, Start“, ein Schuss, stakkatomäßiges Geklacker der Radschuhe beim
Einklicken in die Pedale. Es geht los.
Schultern und Ellenbogen rempeln aneinander.
Meine Position in der ersten Reihe sichert mir ein schnelles Fortkommen aus dem
bunten Knäul zu. Mein kurzer und brachialer Antritt katapultiert mich sofort an
die dritte Position der Führungsgruppe. Doch nach zwei Minuten hängen meine
Beine an mir herunter wie Fremdkörper. Mich durchzieht ein Gefühl, als wäre ich
zehnmal mit 50 Sachen gegen eine Hauswand gefahren. Hellgrau und aus Rauputz
natürlich. Heavy 24. Soziale Stellung bedeutet bei dieser Flucht aus dem Alltag
absolut nichts. Alle sind gleich. Nur diejenigen, die gleicher sind, können
über das Erreichen der Ziellinie anderer Rennteilnehmer durch ihre mit
maximaler Kompetenzverweigerung ausgeprägten Fahrweise mitentscheiden.
Penner, Scheiße, Hau ab und Hey rangieren ganz
oben auf der Liste der aufs Minimum reduzierten Vokabelliste. Keiner für alle,
jeder für sich. Ein 8er-Teamfahrer bedient sich der verbalen Lichthupe. „Platz,
Platz, Platz“ schallt es lauthals von hinten, um Sabo im schmalsten Trail aus
seiner Ideallinie zu befördern. Wer Sabo kennt, weiß, dass Sabo gerne später
bremst, um länger schnell zu sein. Um diesen nicht ganz unriskanten
Überholvorgang mit einer erzieherischen Maßnahme zu vergelten, korrigiert Sabo
seine Leistungswerte kurzfristig deutlich nach oben und schließt zu diesem
Rennraudi nochmals auf. Ein energisch platziertes „Plaaaaaatz“ von Sabo lehrt
den Delinquenten nachhaltig in Demut. Der erneute Überholvorgang des
8er-Fahrers wird lehrbuchmäßig und kleinlaut mit „links vorbei, bitte“
angekündigt. Geht doch.

Die Kluft zwischen den ganz langsam in der
Ideallinie der Trails Herumlungernden und im Tiefflug herannahenden
Schreihälsen wächst mit jeder fortschreitenden Stunde des Rennverlaufes. Und
ich irgendwo dazwischen. Mir gehen diesmal Angeschriene und Anschreier
gleichermaßen auf den Sack. Der Stresspegel ist ohnehin schon hoch, die
Temperatur im Wald deutlich zu niedrig. Der Himmel öffnet seine Schleusen
erneut und kotzt sich nasskalt über Chemnitz aus. Die schon fast abgetrocknete
Strecke eignet sich nun eher für den kultivierten Reisanbau, denn als
Mountainbike-Strecke. Es ergibt sich fast schon ein groteskes Bild.
Hightech-Bikes, die gewichtsmäßig beinahe die
Grenze zur Schwerelosigkeit unterschreiten, sind durch den am Bike klebenden
Modder so schwer wie ein Wohnzimmerschrank Gelsenkirchener Barock in Eiche
rustikal. Um einen Schuldigen zu finden, wird die Strecke bei jeder Runde von
mir aufs unflätigste beschimpft. Andere zerren an ihren mittlerweile gefühlt
tonnenschweren Bikes herum, wie die schottische Nationalmannschaft beim
Tauziehen bei den Highland-Games. Als ich dann noch von einem 8er-Teamfahrer,
der die Statur des dünneren Dicken der Wildecker Herzbuben hatte, im Anstieg
einkassiert werde, ist es zu wahr, um schön zu sein.
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Das Teamzelt, ein fast trockener Ort. |
Ich fühle mich irgendwie, wie am Ende der
Wirklichkeit. Der einzige Lichtblick ist die fürsorgliche Betreuung unser
beiden Rennbegleiterinnen Gaby und Jenny. Mit einem Lächeln im Gesicht in der
Wechselzone und einem heißen Tee im Zelt warten sie routiniert nach unseren
jeweils für gewöhnlich zwei Runden dauernden Einsätzen. Ansteckend auf jeden
Fall auch Sabos gute Laune bei den Wechseln. Zwei, drei kurze Wortfetzen, das
Nötigste ist gesagt. Ohne Haupt- und Nebensätze. Läuft.
Ausführlichere Konversation wird via im Zelt
hinterlegten Netbook betrieben, gerade Erlebtes haarklein widergegeben. Als
nach ungefähr 10 Stunden des Rennens Sabo ohne seine übliche Radsportbekleidung
in der Wechselzone auftaucht, fühle ich so etwas wie Erleichterung in mir.
Nicht unbedingt, weil ich dies als Zeichen zur Beendigung des Rennens für uns
deute. Viel mehr, weil mir diese Entscheidung nun von Sabo abgenommen wurde und
nicht von meinem Körper, der schon seit Stunden im Havariemodus herumsiecht.
Was ist noch normal, was ist unnormal?
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Eine schöne Normalität. |
Das letzte halbe Jahr haben Sabo und ich damit
verbracht, den Körper auf die diesjährige Härteprüfung beim Heavy 24
vorzubereiten. Wir haben Einheiten mit bis 5 zu Stunden Dauer im Winter auf der
Trainingsrolle absolviert, uns mit Bergintervallen geknechtet, teilweise
asketisch gelebt, Pulverkonzentrate und Gels konsumiert. Ist das normal?
Oder
ist es normal, am Wochenende in diesen überfüllten Einkaufsbunkern die Zeit
totzuschlagen, sich mit allerlei ungesundem Kram und Cola vollzustopfen, um
danach die neueste Bild-der-Frau-Diät geil zu finden und alles wieder
auszukotzen? Meine eigene „Normalität“ gefällt mir eigentlich recht gut. Ich
habe keinen Bock darauf, Opfer der Zeitzertrümmerungsindustrie zu werden, um
schon am Nachmittag mit irgendwelchen Insolvenzen sogenannter C-Promis im
Fernsehen belästigt zu werden. Zumal ich mit Sabo einen Trainingspartner habe,
der die Messlatte recht hoch ansetzt und auch niemals locker lässt.
Der nächste Morgen nach dem Rennen bringt das
Gefühl von Ernüchterung, das Rennen, und somit den Saisonhöhepunkt, abgebrochen
zu haben, aber auch das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Meine eigene Statistik spricht jedenfalls dafür, dass der kommende Wettkampf
ein Erfolg wird. Ich jedenfalls bin übermäßig froh darüber, dass dies die
letzte Teilnahme am Heavy 24 in Chemnitz war.
Dann kann ich endlich im nächsten Jahr zum
allerletzten Mal daran teilnehmen.
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Dann bis 2019... |